Istvan Manner

Zwischen den (Sprach-)Welten

99 % der Leute kennen mich als Stephan. 1969 kam ich im Rahmen eines Regierungsabkommens zwischen der DDR und Ungarn als Vertragsarbeiter nach Deutschland und zur Vereinfachung „übersetzten“ die deutschen Kollegen unsere Vornamen ins Deutsche: Istvan = Stephan, Ferenc = Franz, József = Josef und so weiter.

Aber von vorn: Ich komme aus dem Weingebiet Mór in Ungarn. Eigentlich stammen meine Vorfahren aus Ulm, wanderten aber nach Ungarn aus. Erstmalig tauchte der Familienname 1755 in Mór auf. Dort betrieb meine Familie Weinanbau.

Ich sage immer,

ich bin der erste in der Familie, dessen Muttersprache Ungarisch ist. Ich war in einem Bergmann-Kindergarten – einem Kindergarten für die Kinder der Bergmänner, die im Bergwerk arbeiteten – dort wurde nur Ungarisch gesprochen. Alle anderen in meiner Familie sprachen immer Deutsch und Ungarisch gemischt, wie es ihnen einfiel. Nach Ende meines Abiturs mit integrierter Schlosserausbildung wollte ich mit 18 Jahren weg aus Ungarn, Abenteuer erleben und die deutsche Sprache lernen, die ich bis dahin kaum konnte. Ich war nicht sehr zielgerichtet und entschied mich zunächst als Elektroschlosser über den Regierungsaustausch nach Eberswalde zu gehen. Als ich nach Eberswalde kam, wollte ich mich bei meinen Kollegen nicht blamieren oder Probleme haben und mir war klar, dass ich erstens Leistungswillen zeigen, zweitens etwas können und drittens die Sprache schnell lernen musste. Am dritten Tag nach meiner Ankunft in Deutschland, begann mein erster Arbeitstag. Bereits in Ungarn spielte ich in der 3. Liga Fußball und auch in Eberswalde habe ich mir schnell einen Verein gesucht.

Eigentlich hatte ich den Plan wieder nach Ungarn zurückzukehren, aber wie das Leben so spielt, lernte ich meine erste Frau kennen und wir bekamen unser erstes Kind. Man muss dann Verantwortung übernehmen und ich entschied mich in Deutschland zu bleiben. Von 1972-1974 musste ich zur Armee in Ungarn und meine Familie begleitete mich. Zu dieser Zeit befand sich auch die Sportführung in meinem Eberswalder Fußballverein im Umbau und ich erhielt das Angebot auf einen Studienplatz und eine Wohnung. Neun Monate nach meiner Rückkehr erhielt ich beides in Eberswalde. Ich studierte Betriebswirtschaft und arbeitete im Kranbau als Abteilungsleiter. Durch eine komplizierte Verletzung konnte ich allerdings nicht weiter Fußball spielen. So wurde ich Übungsleiter bei den Jugendlichen.

Ab Ende der 70er Jahre

war mein Lebensmittelpunkt nun in Eberswalde, meine Frau und ich hatten drei Kinder und ich wollte nicht mehr zurück nach Ungarn. Viele andere Ungarn kehrten zurück. Mit der Wende war es hier und da etwas rauer geworden. Es gab viele Deutsche, die ihre Jobs verloren hatten und plötzlich fiel einigen auf, dass da Ungarn waren, die hier einer Arbeit nachgingen. Man musste sich mehr durchsetzen und behaupten. Ich kam immer gut zurecht, war erfolgreich im Beruf, nie arbeitslos und fühlte mich wohl hier. Für viele andere ungarische Kollegen mit Potential hätte ich mir insbesondere in der Zeit von 1990 bis 2000 gewünscht, dass sie mehr Unterstützung in ihrer Karriere erhalten würden. Gute Arbeitskräfte wurden leider nicht immer gut bezahlt oder gefördert.

Heute bin ich Rentner und genieße mein Leben mit meiner zweiten Frau, unserem Hund und meinen drei Gärten, in denen ich unter anderem auch Wein anbaue. Ich bin Vorstand in meinem geliebten Fußballverein und Mitorganisator zweier monatlicher Skatturniere. Aushilfsweise bin ich auch Fahrer bei einem Fahrdienst. Häufig fahre ich Menschen mit Behinderung. Mit ein paar netten Worten und der Anerkennung der Menschen als Person kann man so viel Freude hervorrufen und selbst erleben. Wie auch schon früher reise ich jährlich nach Ungarn und habe guten Kontakt zu meinen Freunden. Meine drei Kinder sind leider nicht zweisprachig aufgewachsen. Es war für alle in der deutschen und ungarischen Familie einfacher Deutsch zu sprechen.

Sarah Schmidt