Fariwar

Weg in ein freies selbstbestimmtes Leben

Ich bin 35 Jahre alt und komme aus einer großen afghanischen Familie mit vielen Onkeln und Tanten. Ich selbst habe vier Brüder. In Afghanistan war unsere Familie sehr reich und bekannt. Mein Vater, Opa und Onkel arbeiteten dort bei der Generalstaatsanwaltschaft. Mein Vater hat auch mit der NATO, speziell mit der deutschen Armee-Einheit in Mazar-e Sharif zusammengearbeitet. Meine Mama hat Abitur gemacht, entschied sich dann aber für die Familienarbeit.

In Afghanistan gibt es ein sehr strenges Behördensystem und wir wurden zunehmend von der Taliban bedroht. Unter anderem war die Taliban hinter einem amerikanischen Professor her, der im Haus der Familie meines Mannes lebte. Mein Schwiegervater brachte den Professor als Frau unter einer Burka verkleidet zum Flughafen nach Kabul und verhalf ihm so zur Flucht. Die Repressalien wurden immer schlimmer, daher gab mein Vater uns Geld, sodass ich 2015 mit meinem Ehemann und damals drei Kindern fliehen konnte.

Zunächst flogen wir in den Iran,

von dort aus fuhren wir mit dem Auto bis in die Türkei. Danach hatten wir kein Auto mehr und setzten den langen Weg zu Fuß fort: über Bulgarien, Serbien, Ungarn und Österreich bis nach Deutschland. Mit uns waren 60 weitere Menschen auf der Flucht. Eine meiner Töchter wurde krank auf der Flucht und sie musste in Bulgarien behandelt und operiert werden – das war sehr schwierig. Meine Eltern und zwei meiner Brüder leben heute in Kanada, ein Bruder in Finnland und der andere in Indien.

Nachdem wir in den Barnim kamen, lernte ich die Leiterin eines Familienzentrums kennen und erhielt viel Unterstützung. Sie ist zu meiner deutschen Mama geworden. Sie und ihr Mann unterstützten mich beim Deutschlernen und zu der Zeit, als ich mein viertes Kind bekam. Sie motivierten mich stets, beantworteten immer meine vielen Fragen und helfen mir bei allem, was ich tue, auch heute noch.

Fariwar Razawi - Afgahnistan

Als ich nach zwei Jahren einen Deutschkurs machen wollte, ging ich jeden Tag ins Rathaus und sprach vor, dass ich dringend einen Kitaplatz für mein nun zweijähriges Kind brauche. Ich wollte unbedingt Deutsch lernen und konnte nicht mehr zu Hause bleiben. Ich habe die Mitarbeiterinnen so genervt und schließlich hat es geklappt. Der erste Kitatag war dann auch der erste Tag im Sprachkurs.

Mit meinem Abitur,

welches ich in Afghanistan machte, hatte ich die besten Voraussetzungen einen Deutschkurs zu beginnen. Ohne Integrationskurs konnte ich gleich wegen meiner guten Deutschkenntnisse die B1-Prüfung ablegen. Die B2-Prüfung habe ich beim zweiten Mal auch bestanden. Danach konnte ich ein Praktikum in einem Jugendclub machen und war in einer Arbeitsmarktmaßnahme, bei der ich beim Dolmetschen half. Hier halfen mir meine Sprachkenntnisse. Ich absolvierte dann den Bundesfreiwilligendienst in einer Kita.

Nun habe ich eine Ausbildung zur Erzieherin begonnen. Später möchte ich noch den C1-Kurs belegen. In einem Sportverein habe ich weitere nette Menschen kennengelernt, die mich bei allem unterstützen und mir helfen.

In Afghanistan war es für mich als Frau sehr schwer. Hier in Deutschland können wir alles machen und haben viele Möglichkeiten. Ich habe Fahrrad- und Autofahren gelernt. Ich kann mich frei bewegen, bekomme Schutz, meine Kinder können schwimmen und in die Schule gehen. Diese Freiheit möchte ich nie verlieren. Ich habe gelernt, mit wenig Geld gut zu leben.

Meinen Kindern sage ich, man kann in einer Gesellschaft leben und sich integrieren, aber deshalb muss ich meine eigene Kultur nicht verleugnen. Als alleinerziehende Mutter habe ich hier in Deutschland ein neues Leben angefangen und ich fühle mich gut integriert.

Sarah Schmidt und Katharina Zielke