Atieh Mhawech

Ticket nach Hause

Ich bin ein Palästinenser aus dem Libanon, eigentlich aus Deutschland, aber fangen wir von vorne an.

1978 erblickte ich das Licht der Welt. Mir standen alle Türen offen, denn ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen – bis zu meinem sechsten Lebensjahr. Da entschied unser Vater, dass wir alle zurück in den Libanon gehen sollten, um unsere zweite, bis dahin unbekannte Heimat und Kultur kennenzulernen. Ich wollte nicht weg, ich fühlte mich in Westberlin wohl, hatte einen besten Freund namens Frederik, kam bald in die Schule und hörte dem Akkordeonspieler am Waldsee stundenlang zu.

Als Fremder im Libanon während des Bürgerkriegs

In Gedanken noch bei Frederik und meiner Heimat Berlin kam ich 1985 in ein neues und mir fremdes Land und mitten in den Bürgerkrieg. Das Dröhnen der Maschinengewehre bekomme ich bis heute nicht aus meinem Kopf. Und bis heute kann ich nicht verstehen, warum unser Vater das tat. Noch weniger kann ich ihm verzeihen, dass er meine Schwestern und unsere Mutter im Krieg zurückließ und nach einem halben Jahr alleine wieder zurück nach Deutschland ging. In Tripoli (Libanon), direkt am Mittelmeer, war alles neu für mich. Mein Deutsch war besser als mein Arabisch. Je mehr Jahre vergingen, desto mehr schien mir die deutsche Sprache, Berlin und Frederik wie ein schöner Traum – weit entfernt. Zu unserem Vater hatten wir nur Briefkontakt und später auch am Telefon.

Im Libanon hatte ich mir inzwischen etwas aufgebaut, die Schule besucht, studiert… In jungen Jahren musste ich schnell lernen, das Familienoberhaupt zu sein und Verantwortung für meine Schwestern und meine Mutter zu übernehmen. Das war hart für mich. Als Unternehmer eines Logistik-Unternehmens exportierte und importierte ich Waren. Ich hatte eine tolle Frau und mit ihr unsere drei Kinder, die im Libanon geboren wurden. Als ich im Jahr 2018 auf dem Motorrad mit einem meiner Kinder in eine Schießerei geriet, wusste ich: Wir müssen aus dem Libanon weg! Ich wollte es besser machen als mein Vater und so flüchteten wir im selben Jahr über Umwege aus dem Libanon.

Atieh Mhawech - Deutschlandrückkehrer aus dem LibanonUngeklärter Status verdammt zur Untätigkeit

Mein Vater hat uns nie um Vergebung gebeten. Ich könnte ihm auch nie verzeihen. Aber bis heute bestimmt seine damalige Entscheidung mein gesamtes Leben. Wären wir doch damals nur in Deutschland geblieben. Das Leben rast an mir vorbei und meine Kinder sind schon 9, 12 und 15 Jahre alt und das Jüngste ist gerade einmal 5 Monate. Sie sollen eine schöne Zukunft haben und dafür kämpfe ich jeden Tag.
Durch meine Staatenlosigkeit und ungeklärte Identität als Palästinenser fühle ich mich nirgendwo richtig angekommen. Hier darf ich weder ein Praktikum, noch eine Ausbildung oder ein Freiwilligenjahr absolvieren, geschweige denn Arbeit aufnehmen. – Verdammt, ich WILL arbeiten! –

Hin und her gerissen: Gehen oder bleiben?

Als mir alles über den Kopf wuchs, wollte ich Deutschland freiwillig verlassen. Ich wollte zurück. Endlich wieder gebraucht werden und arbeiten dürfen. 2019 stand ich nun in der Ausländerbehörde – felsenfest entschlossen, Deutschland den Rücken zu kehren… aber ich bin noch hier.

Elisa Karberg